ChatGPT sorgt im Frühjahr 2023 für Wirbel: Bei Google läuten die Alarmglocken, Ärzte und Anwälte fürchten um ihre Jobs – und Microsoft nimmt 10 Milliarden Dollar in die Hand.
Was genau verbirgt sich hinter diesem Tool, auf das manche ganze Online-Utopien bauen, während andere vor dem Untergang der Menschheit oder zumindest ihres Business warnen?
Zunächst einmal ist ChatGPT ein Chatbot, also eine Dialogsoftware, die eine textbasierte Kommunikation mit einem technischen System ermöglicht, idealerweise in einer möglichst natürlichen Sprache. Entwickelt und betrieben wird das Tool von Open AI, einem Forschungsunternehmen in San Francisco, das von Elon Musk und Microsoft finanziert wird. Natürlich sorgt dieser Hintergrund für zusätzliche Fantasie, wahlweise in Form hoher Erwartungen oder dystopischer Ängste – aber sehen wir hier wirklich den Gamechanger in allen möglichen Lebensbereichen sein, als der das Tool gehandelt wird?
Zunächst einmal ist festzustellen: Es kann viel! Es beantwortet Fragen und erstaunlich viele davon ziemlich gut, auch in verschiedenen Sprachen. Es schreibt Aufsätze, Produktbeschreibungen und Bedienungsanleitungen; es korrigiert und übersetzt, ja es verfasst sogar Gedichte. Auch coden kann die hinter dem Tool arbeitende KI Künstliche Intelligenz: Sie liefert wahlweise ein paar Zeilen Programm oder korrigiert eine Vorlage in fast allen Programmiersprachen. Eindrucksvoll ist nicht zuletzt das hohe sprachliche Niveau, das die Antworten in der Regel erreichen; ein Standard, der in vielen Fällen kaum von menschlicher Sprache zu unterscheiden ist.
Die Schwächen des Prototyps, welches am 30. November 2022 veröffentlicht wurde, liegen derzeit vor allem in einem gewissen Erfindungsreichtum der KI Künstlichen Intelligenz. Wer die Texte für reale Einsatzzwecke verwenden will, ist gut beraten, alles noch einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen. Denn nicht alle Fakten, die der Chatbot liefert, sind auf dem aktuellen Stand der Dinge; kein Wunder, reflektiert die Textbasis, mit der er trainiert wurde, doch den Stand des Jahres 2021. Aus den analysierten Vorlagen übernimmt der Bot auch gern die eine oder andere Redundanz und Voreingenommenheit, die vor einer realen Verwendung der Antworten unbedingt kritisch geprüft und abgebaut werden sollten. Dass die Quellen, die einer Ausgabe zugrunde liegen, nicht transparent aufgelistet werden, macht die Sache nicht einfacher.
Technisch gesehen geht es bei dieser Anwendung um das GPT-3-Projekt von Open AI, mit dem das Unternehmen ein Sprachmodell auf der Grundlage eines künstlichen neuronalen Netzes entwickelt hat. Das Verfahren beruht auf der statistischen Analyse grosser Textmengen, mit der die Software beurteilt, wie gut ein Satz zu einem bestimmten Kontext passt. GPT-3 arbeitet dabei mit weit über 175 Milliarden Parametern – mehr als zehnmal so viel wie das bislang grösste vergleichbare Sprachmodell T-NLG.
Für das Training des Chatbots nutzt Open AI bestärkendes Lernen (Reinforcement Learning from Human Feedback – RLHF). Um unerwünschte Ausgaben zu vermeiden, die sich aus der Verstärkung z. B. von rassistischen oder sexistischen Voreingenommenheiten ergeben, wurden verschiedene Schutzfunktionen eingebaut.
Die technische Grundstruktur lässt auch die Kinderkrankheiten besser verstehen, unter denen das Tool in seiner Einführungsphase noch leidet: Der Bot verfügt über kein Sachwissen, sondern gleicht sprachliche Äusserungen über ein Thema miteinander ab; deshalb klingen einige Ausgaben deutlich besser, als sie bei näherem Hinsehen sind – die Behauptung, der Elefant sei das grösste eierlegende Säugetier, gehört zu den legendären Artefakten. Aus denselben Gründen sind die Fähigkeiten des Tools im Umgang mit Ironie natürlich extrem begrenzt.
Um ChatGPT in der Erprobungsphase zu nutzen, müssen sich Interessierte nur mit ihrer E-Mail-Adresse registrieren. Wegen des grossen Andrangs ist das Tool allerdings nicht durchgehend verfügbar.
Ob die Nutzung des Chatbots auch in Zukunft kostenlos bleiben wird, ist nicht bekannt.
Da ChatGPT keine grundsätzliche thematische Begrenzung hat, gibt es kaum einen Bereich, in dem der Einsatz des Tools unmöglich oder nicht sinnvoll erscheint. Dass die KI eine deutliche Qualitätssteigerung bei gängigen Chatbot-Use-Cases in der Kundenkommunikation erwarten lässt, ist dabei nur die naheliegendste Erwartung. Andere interessante Anwendungen im Marketing betreffen die Generierung von Werbetexten oder SEO-Texten und lassen dabei an eine verbesserte Steuerung datenbasierter Kampagnen denken.
In ähnlicher Weise kann eine Technologie wie GPT-3 natürlich auch die Tätigkeit anderer stark textorientierter Berufe verändern und z. B. Prozesse im News-Journalismus beschleunigen und effektiver machen. Aber auch für die anspruchsvollen Arbeitsbereiche von Juristen, in der Medizin und im Bildungswesen wird sich ein sachgemässer Umgang mit der neuen Technologie erst finden müssen – worauf nicht zuletzt die hektischen Abwehrreaktionen hinweisen, die unmittelbar nach dem Launch der Testversion zu beobachten waren. Klar: Die Versuchung, die nächste Hausarbeit einfach vom Chatbot schreiben zu lassen, ist groß.
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